Das Trainingslager als Baustein des Wintertraining – Was „leistet“ ein Trainingslager?

(Gedanken von Björn Ernst – Cycling-Coach-Lab)

Für viele Radsportler heißt aktuell, und in den kommenden Wochen, die Taschen für das Trainingslager zu packen. Die Euphorie ist bei den meisten groß. Endlich ins Warme und ordentlich Kilometer fahren. Viele denken vielleicht auch schon im Dezember: „Ich lass es ruhig angehen, im Februar geht es in Trainingslager, dort hole ich alles nach“. Die ersten Einheiten laufen i.d.R. auch bei den meisten gut. In einer größeren Gruppe wird schnell gefahren und an den ersten Wellen wird die Form getestet. Die Frage ist jedoch: Rettet ein Trainingslager ein verkorkstes oder vernachlässigtes Wintertraining?

Oder anders gefragt: Was „leistet“ ein Trainingslager?

Diese Frage habe ich mir schon einige Male gestellt. Entweder weil ich selbst auf dem Weg dorthin war, oder weil ich aus unterschiedlichen Gründen kein Trainingslager absolvieren konnte. Ich möchte euch anhand von Zahlen erläutern, wie sich die Belastung eines Trainingslagers auf die Form und vor allem auf die Frische auswirkt. Dazu nehmen wir als Vergleich zwei Fahrer gleichen Alters, die sich jedoch in unterschiedlichen Fitnesslevel befinden. Ein guter Ansatzpunkt, um die Form bzw. Fitness zu erfahren, liefern die Langzeit- und Kurzzeittrainingsbelastungen. Trainingsguru Andrew Coggan entwickelte dafür ein Berechnungsmodell, welches die CTL (Langzeittrainingsbelastung), ATL (Kurzzeittrainingsbelastung) und TSB (Trainings Stress Balance) errechnet. Zur Vereinfachung lässt sich pauschalisieren, dass ein Fahrer mit einer höheren CTL eine bessere Fitness aufweist, als ein Fahrer mit einer geringen CTL.

Vergleichen wir also die Fahrer A (CTL 30) und Fahrer B (CTL 62) miteinander. Beide Fahrer fahren in derselben Trainingsgruppe und steuern die Intensitäten so, dass beide in Bezug zu ihrer Leistungsschwelle (FTP) die gleichen Belastungen fahren (das Ergebnis wird in TSS = Trainings Stress Score angegeben).

Fahrer A

Fahrer B

TSS

CTL Fahrer A

ATL

TSB

CTL Fahrer B

ATL

TSB

Anreise

30

30

0

70

70

0

1

180

33,5

50,0

-16,5

72,6

84,7

-12,1

2

200

37,4

70,0

-32,6

75,6

100,0

-24,5

3

220

41,7

90,0

-48,3

79,0

116,0

-37,1

4

0

40,8

78,0

-37,2

77,1

100,6

-23,4

5

200

44,5

94,3

-49,8

80,0

113,8

-33,8

6

220

48,6

111,0

-62,4

83,3

128,0

-44,7

7

240

53,1

128,2

-75,1

87,0

142,9

-55,9

8

0

51,9

111,1

-59,2

85,0

123,9

-38,9

9

240

56,3

128,3

-72,0

88,6

139,3

-50,7

10

260

61,1

145,9

-84,8

92,6

155,4

-62,8

Abreise

0

59,7

126,4

-66,8

90,5

134,7

-44,3

Zu Hause 1

58,3

109,6

-51,3

88,3

116,7

-28,4

Zu Hause 2

50

58,1

101,6

-43,6

87,4

107,8

-20,4

Zu Hause 3

56,7

88,1

-31,4

85,4

93,5

-8,1

Zu Hause 4

55,4

76,3

-21,0

83,4

81,0

2,4

Zu Hause 5

50

55,2

72,8

-17,6

82,6

76,9

5,7

Was auf den ersten Blick nur ein Haufen Zahlen ist, zeigt eindrucksvoll die unterschiedlichen Auswirkungen eines Trainingslagers. Die Spalte TSB zeigt das Ergebnis aus CTL und ATL an (CTL- ATL) und kann mit der Bezeichnung „Frische“ gleichgesetzt werden. Die „Frische“ zeigt mir also an, wann ich erholt oder müde bin. Sowohl CTL, als auch ATL werden durch die Trainingsbelastung (TSS) beeinflusst. Deutlich wird, dass die TSS meine Langzeit- und Kurzzeittrainingsbelastung weniger stark beeinflusst, wenn diese höher sind.

Für unseren Vergleich bedeutet das folgendes:

Fahrer A, der mit einer Ausgangsbelastung von CTL 30 in das Trainingslager gegangen ist, hat sich durch die harten Belastungen (TSS) sehr stark beansprucht. Fahrer B hat diese Belastungen sehr viel besser weggesteckt. Dort wirkten sich die Belastungen weniger stark auf die CTL und ATL aus. Daraus resultiert auch eine geringere TSB. Auch die Erholungszeit wird durch eine höhere CTL bei den gegebenen Belastungen verkürzt. Fahrer B ist schon nach 4 Tagen wieder in einem Bereich angekommen, an dem die nächsten Belastungen möglich wären (auch wenn das in diesem Fall aufgrund des Trainingslager nicht sinnvoll wäre). Fahrer A hingegeben liegt immer noch weit im Minusbereich und wird noch einige Tage benötigen, um sich von den Strapazen zu erholen.

Dieses Beispiel zeigt somit auf, was ein Trainingslager leisten kann. Es zeigt aber auch auf, dass ein Trainingslager ein vernachlässigtes Wintertraining nicht ersetzen kann. Der Grundstein für ein erfolgreiches Training im Süden muss zu Hause gelegt werden. Dafür sprechen nicht nur die reinen Zahlen. Neben den Belastungen für das Herz-Kreislaufsystem und den Stoffwechsel, wird auch der Bewegungsapparat enorm belastet. Ein häufiger Fehler im Trainingslager liegt darin, dass die Intensitäten und die Dauer der Einheiten zu hoch sind. Der Bewegungsapparat, insbesondere aber die Sehnen, die eine schlechte Regeneration aufweisen, können nur das leisten, was sie auch gewohnt sind. Wer also zu Hause ca. 10 Stunden/Woche trainiert, sollte seinen Umfang im Trainingslager dementsprechend anpassen. Die doppelte Trainingszeit kann dem Körper mehr schaden, als Nutzen.

Damit man also auch seine Freude am Trainingslager und den folgenden Rennen hat, sollten diese Hinweise im Hinterkopf behalten werden 😉